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Die Selke – ein Vorharz-Flüsschen im Mai

von Ralf-Friedrich Voß, Böllberger Sportverein (BSV), Halle (Saale)

Mai 2010
„Ist der Mai recht kühl und nass, füllt’s dem Bauern Scheun’ und Fass, “ sagt eine alte Bauernweisheit. Der Mai 2010 war sehr kühl und sehr nass (was unseren polnischen Nachbarn eine Hochwasserkatastrophe ungekannten Ausmaßes bescherte, die auch an den brandenburgischen Deichen der Oder leckte).

Ein unverhofft arbeitsfreies Wochenende und die Ahnung, dass doch nun auch auf kleinen Flüssen ein guter Wasserstand herrschen müsste, gab meiner Überlegung Anschub, mich wieder mal per Boot auf ein kleines Flüsschen zu begeben. Es sollte auch nicht weit vom Wohnort Halle an der Saale sein. So fiel mein Blick auf die Flüsse des Vorharzes. Die Bode war ich schon mal gefahren, blieben ihre Nebenflüsse Holtemme (sprich: Holt-emme = Holz-Schwemme?) und Selke. Das Flusswanderbuch Ostdeutschland wusste nur zu vermerken, dass das letztgenannte Flüsschen bis Meisdorf durch ein Naturschutzgebiet mit Befahrungsverbot und schließlich in die Bode fließt. Die Frage nach Gefälle, Fließgeschwindigkeit, Wehren etc. blieb unbeantwortet. Auch die die sonst so informative „Jübermann-Karte Nr. 7“ vermerkte nur, dass der Wasserlauf meistens (aber nicht immer!) befahrbar sei, ansonsten waren die Ufer von hübschen Fragezeichen gesäumt. Also: nichts Genaues weiß man nicht!

Aber irgendwie lockte mich gerade das. Also besorgte ich mir eine topografische Karte M 1:50.000. Diese zeigte einige Abzweigungen, was auf Mühlgräben und Wehre schließen ließ. Um doch eine genauere Vorstellung über die Strecke zu bekommen, holte ich meinen alten Stechzirkel aus dem Zirkelkasten (noch aus der Schulzeit vor 50 Jahren) und stellte ihn auf die Distanz von 250 m, aber nicht mit 5 mm, sondern wissend, dass auch eine ziemlich genaue Karte nicht jede Flussbiegung berücksichtigt, die Flüsse und Wege also länger sind, als es auf der Karte erscheint, stellte ich ihn auf nur 4 mm ein. So konnte ich „abzirkeln“, dass Meisdorf etwa 26 km von der Mündung in die Bode entfernt war, 4 km wiederum danach liegt Wegeleben mit Bahnstation (wichtig für das Nachholen des Autos). Damit war die Fahrt geplant. Der Rest, Ausrüstung, Proviant etc., war Routine.

Also fuhr ich eines Morgens nach Meisdorf. Aus der Karte wusste ich, dass es dort eine Mühle gibt. Unterhalb ihres Wehres wollte ich einsetzen. Es gab auch eine freie Stelle an der Bahnhofstraße. (Die dazu gehörige Kleinbahn existiert leider nicht mehr, man muss ab Quedlinburg den Bus mit weiten Umwegen nehmen.) Aber hier war das Ufer eine steile Bruchsteinböschung, zum Booteinsetzen nicht sehr einladend. Also folgte ich dem Flusslauf abwärts rechts in eine Nebenstraße, die schließlich in einen Feldweg überging. Und der hatte plötzlich flusswärts einen Abzweig – eine Furt, ideal um das Boot einzusetzen. Schnell war dasselbe ab- und mit Kentersack, Fototasche, Proviant etc. beladen. Und los ging die Fahrt.

Das Flüsschen war flach, aber gut zu fahren. Kaum hatte mich die Strömung erfasst, tauchte links am Ufer ein Schild auf „Selke km 25“. Also stimmte meine Zirkelmessung ziemlich genau! Nach gut einem Kilometer kam das erste Wehr in Sicht (km 23,5). Für Sportliche ist es mit einem Höhenunterschied von ca. 1 m bei gutem Wasserstand sicher fahrbar. Aber ich wollte kein Risiko eingehen und trug lieber rechts um. Da es keine Wasserableitung gab, ging es flott weiter. Schwallstrecken aller 50 bis 100 Meter gaben zusätzlichen Schwung. Das nächste Schild zeigte an der Brücke der Bundesstraße 185 Selke-km 22,5 an (sah ich das nächste km-Schild erst kurz vor der Mündung). Kurz danach tauchte Ermsleben auf, eine „wehrlose“ Ortsdurchfahrt mit fahrbarer Stufe zum Abschied (km 21,3). Bald verlangsamte sich die Strömung vor dem hohen Wehr der Malzmühle (km 20,4). Es ist etwa 2m hoch und bei Hochwasser für Geübte eventuell fahrbar. Auch hier trug ich rechts um.


Nach kurzer Fahrt erreichte ich das Wehr der Strommühle (km 18,5) bei Reinstedt. Dieses Beton-Überlaufwehr ist etwa 3 m hoch und nicht fahrbar. Auf der linken Seite ließ sich gut anlanden. Ein schmaler Mühlgraben zweigte ab, der viel Wasser führte. „Der Mühlgraben fließt ja irgendwann wieder in die Selke!“ dachte ich, „also, rein mit dem Boot!“ Ein Riesenfehler! Nach kurzer Zeit musste ich an einer Rohr-Brücke umtragen, weinig später eine zweite. Ich versuchte durchzufahren, blieb mit dem Rücken im Rohr fast stecken und kam nur mit einigen Schrammen wieder heraus. Und dann tauchte doch noch ein steiles, absolut unfahrbares Wehr in diesem Mühlgraben auf! Durch einen Reiterhof gelangte ich mit einem ziemlichen Umweg auf die Hauptstraße, und der Fluss schien verschwunden zu sein! Ich schleppte also das Boot samt Ausrüstung weiter. Schließlich frage ich einen Bauern nach dem Weg; der erbarmte sich ein meiner, holte einen Handwagen vom Hof und half mir das Boot bis zu einer Geröllbank an der nächsten Straßenbrücke zu bringen. Am ersten Wehr rechts umzutragen wäre sicher ratsamer gewesen. Am Ortsausgang gibt es dann noch einmal ein etwa 2 m hohes Wehr (km 17,1), das man besser umtragen sollte. Ich tat es auf der rechten Seite. Gut einen Kilometer weiter noch ein Wehr mit hohem Absturz. Nach fast 5 km ungehinderter Fahrt erreichte ich nun das Städtchen Hoym (kein Wehr!). Danach gab es leider ein Baumhindernis. Aber ich konnte mich quer heran treiben lassen, aus dem Boot auf den Baum steigen, das Boot überheben und mich durch das im Kehrwasser treibende Holz hindurch schieben. (Am unteren Lauf gab es noch ein Baumhindernis, dass sich aber am linken Ufer mit Schwung durchfahren ließ.) Bei km 11,6 versperrt das Schützen-Wehr des Pumpwerks Hoym mit zwei Toren den Fluss. Der rechte Schütz war gezogen und außerdem stark beschädigt, so dass eine rauschende Durchfahrt in tiefes Unterwasser reibungslos verlief. Sollte das Weh einmal repariert werden und kein Schütz hoch genug gezogen sein, dürfte das Umtragen schwierig werden: vor dem Wehr wird der Fluss von steilen Beton-Schrägen eingefasst, die ein Aussteigen völlig unmöglich machen, weil man keinen Halt findet. Man müsste also sehr rechtzeitig anlanden und weit umtragen. Wenig später unterquert der Fluss die neue vierspurige Schnellstraße B 6n (km 11,3).

Zwischen Hoym und Gatersleben ist die Selke entlang einer ehemaligen Bahnstrecke kanalisiert und nimmt entsprechend Fahrt auf. Am Ortseingang von Gatersleben ist ein neues Wehr mit mehreren Schützen gebaut (km 9,5). Die Schütze waren zwar zum Teil gezogen, aber zum Durchfahren zu niedrig. Ich ging links an Land. Ein freundlicher Spaziergänger half mir das Boot ca. 100 m weit zu tragen. Dann machte ich erstmal Mittagspause. Zum Einsetzen musste ich das Boot eine ca. 4 m hohe Böschung mit Grasnarbe hinunter rutschen lassen. Auf der rechten Seite ist das Ufer unterhalb des Wehres wesentlich flacher. Dort müsste man über eine (vielleicht zu) schmale Brücke über den Mühlgraben umtragen. Die Durchfahrt durch Hausneindorf beginnt und endet mit jeweils einer fahrbaren Stufe (km 7,5 und km 4,4). Der letzte Ort an der Selke ist Hedersleben. in Höhe des Ortseingangs ist wieder eine fahrbare Stufe. Dann passiert man in einiger Entfernung den Ort. Das nach dem Ortsausgang von links einmündende stehende Gewässer ist noch nicht die Bode, sondern der Grenzgraben (km 1,6). Wenig später strömt, ebenfalls von links, die Bode heran. In älteren  Ausgaben des DKV-Wasserwanderführers Ostdeutschland liegt die Mündung noch am Bode-km 78,3. Ein Schild am Ufer gibt aber km 80 an. Das wird in der nächsten Ausgabe korrigiert, siehe unten.

500 m  nach der Selke-Mündung in die Bode rauscht vor einem das Wehr von Rodersdorf. Unbedingt sollte es links umtragen werden. Laut der Beschreibung des „Blauen Bandes Sachsen-Anhalt“ wird man rechts von Wachhunden „begrüßt“. Am Bode-km 76 versperrt das Damm-Mühlen-Wehr von Wegeleben die Weiterfahrt, rechts umtragen. Nach weiteren 500 m gibt es an der Straßenbrücke rechts eine gute Stelle zum Aussetzen. 50m entfernt ist eine Bushaltestelle; ich nahm den 2 km langen Weg zum Bahnhof unter die Füße, um per Bahn und Bus via Quedlinburg zu meinem Auto zurück zu gelangen. Wer Zeit und Lust hat, kann aber auch in etwa drei Tagen die Saale bei Nienburg erreichen, Informationen dazu siehe oben (http://www.blaues-band.de/bode).

Was ist zu dieser bisher kaum beschriebenen Strecke zu sagen? Die Kajak-Tour ist nur für GFP- oder PE-Einer bei erhöhtem Wasserstand zu empfehlen, nicht für Faltboote. Ich hatte zwar nie Grundberührung, aber die Strömung hatte eine Wucht, die einem Faltboot-Gestänge gefährlich werden könnte. Zwar führt die Strecke nicht durch das Wanderparadies „Selketal“. Dieses befindet sich oberhalb meines Einsatzortes Meisdorf und ist  Naturschutzgebiet – mit Befahrungsverbot. Vom Wandern weiß ich auch, dass die gesperrte Strecke starkes Gefälle hat und sehr verblockt ist. Wer die beschriebene Strecke bei Google Earth abfährt, wird sehen, dass der Fluss abgesehen von einem schmalen Auwald-Streifen von Feldern umgeben, die Umgebung des Vorharzes also landschaftlich eher unspektakulär ist. Aber man hat eine sportliche, für Geübte gut beherrschbare Tour durch den Vorharz auf sauberem Wasser, welches nur die natürlichen Eintrübungen eines schnell fließenden Gewässers aufweist. Wer sich etwas mehr Zeit nimmt  – und das sollte man eigentlich tun – kann unweit von Meisdorf durch das romantische (obere) Selke-Tal wandern oder sich, z.B. von Gernrode, mit der Selketalbahn gemütlich bis nach Stiege zur Quelle schuckeln lassen, oder unweit von Meisdorf hinauf zur Burg Falkenstein wandern, einer der schönsten und am besten erhaltene Burgen Mitteldeutschlands. Wem es nach „action“ gelüstet, kann sich in Reinstedt auf den „Cartbahn Harzring“ begeben. Und natürlich ist das nördlichste Mittelgebirge Deutschlands und „Gebirge der Romantiker“, der Harz, nicht weit und bietet unendliche Wandermöglichkeiten bis hinauf zum Brocken, nicht zu vergessen die „Straße der Romanik“ mit ihren Baudenkmälern in Halberstadt, Quedlinburg, Gernrode und dem Kloster St. Gertrudis in Hedersleben, direkt an der Selke.  Auf jeden Fall ist dieses Flüsschen für etwas wildwasserkundige ein schöner Ein-Tages-Ausflug und sei hiermit wärmstens empfohlen!

P.S. wenig später erzählte ich bei einem Vereins-Jubiläum meinen Kameraden von der Tour, die mir den Kontakt zu Günter Eck vermittelten, einem der Redakteure des Flusswanderbuches Deutschland-Ost, das einer neuen Auflage entgegen sieht. Er hatte schon eine Beschreibung der Selke verfasst. Einige Beobachtungen konnte ich mit ihm austauschen und er nahm einige Wahrnehmungen von mir von mir in seine Kilometrierung auf. Für diesen Bericht habe ich wiederum seine Kilometer-Angaben, die er mir dankenswerter Weise vorab zukommen ließ, übernommen.

Schließlich möchte ich diesen Artikel meinen Freunden Elisabeth und Hartmut Neubert in Halle widmen, mit denen ich schon viele schöne Touren gemacht habe und die mir ihren Hammer-Einer für diese Fahrt geliehen haben.

BSV:TV – Jede Medaille hat ihren Ursprung am Böllberger Wehr.
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